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Die Familie
Karl Renner fühlte sich in seiner vielköpfigen katholischen
Familie im mährischen Untertannowitz geborgen.
Besonderes Vertrauen bestand zu seinem Vater, während
sich Schwester Anna um Kleidung und Schulmaterial
kümmerte. Eine Missernte hatte bereits seit 1866 den
wirtschaftlichen Abstieg der Weinhauerfamilie eingeleitet. Ein
Trauma war 1885 die Versteigerung des elterlichen Hofes
und der Abtransport der Eltern ins Armenhaus. Auch
begüterte Verwandte halfen nicht. Für immer bannte Renner
seine Familie aus seinem Leben, selbst das Elterngrab war
aufgelassen.
Renner lernte seine Lebensgefährtin Louise Stoicsics aus
Güssing 1890 auf Zimmersuche in Wien kennen.
Lockangebote einer gutsituierten Familie zur Einheirat wies
er zurück. Demonstrativ lud Renner seine Freunde ein und
stellte ihnen Louise einfach als seine Frau vor. 1891 wurde
beider Tochter Leopoldine geboren und nach Purkersdorf
„auf Kost“ gegeben.
1895 kam es zu einer ersten gemeinsamen Wohnung, 1897
wurde geheiratet. Sein Konkubinat bildete jedoch 1898 ein
Hindernis bei der Pragmatisierung. Sein Vorgesetzter in der
Reichsratsbibliothek setzte sich zwar für Renner ein,
trotzdem musste er das Verhältnis legalisieren und offiziell
heiraten.
Die Beziehung von Karl und Louise Renner war von einer
tiefen, in sich fest verwurzelten Liebe, von Vertrautheit und
Respekt getragen Gemeinsame Interessen kommen dazu -
so begleitet Louise Karl nicht nur auf zahlreichen Reisen,
man fährt auch gemeinsam nach Karlsbad auf Kur, besucht
Musikabende und kommuniziert mit Freunden. Beiden ist die
Familie heilig, gemeinsam baut man in Gloggnitz Gemüse
an. Louise ist eine perfekte Köchin, sie organisiert und
repräsentiert vorbildlich. Renners ganze Zuwendung gehört
Tochter „Poldi“, dennoch vergaß er 1911 auf ihre Matura.
Im Hause Renner – im Sommer in Gloggnitz, sonst in Wien
- lebten drei Generationen. Dabei war Großvater Karl stets
Mittelpunkt der Familie. Zwischen Großeltern, Eltern und
Enkelkindern herrschte Harmonie. Renner verbrachte mit
seinen Enkelkindern viel Zeit und nutzte diese zu deren
Erziehung. Er gab Hans Nachhilfe in Latein und erklärte Karl
die Hintergründe des Lebens. Auf Renners Wunsch mussten
die Enkelkinder Klavierspielen, Englisch und Französisch
sprechen sowie Wanderungen unternehmen. Böse wurde
Renner, als Enkel Karl einmal Gott in Abrede stellte.
Renner war zwar der Patriarch der Großfamilie, eine
besondere Beziehung bestand jedoch zwischen ihm und
seiner Tochter Leopoldine. Obwohl diese seit 1913 mit Hans
Deutsch verheiratet war, blieb sie auf ihren Vater fixiert, wie
auch Renner selbst sich von ihr nie lösen konnte. Vater und
Tochter besorgten gemeinsam Einkäufe, während der
Schwiegersohn im Cafe wartete. Hans Deutsch bewunderte
seinerseits Renner. Als Deutsch wegen seiner jüdischen
Abstammung mit den Kindern 1939 nach England
emigrierte, folgte Gattin Leopoldine zwar nach, kehrte aber
bald wieder heim zu ihren Eltern.
Karl und Louise Renner waren über ein Leben lang ein
perfektes Ehepaar, ja die Ehe bildete für Karl den absoluten
Rückhalt. Von überall schickte er seiner “lieben fernen
Kanzlerin“ und seinem „Mutterl“, mit dem er sich „sein Nest
gerichtet“ hatte, detaillierte Berichte von Veranstaltungen,
Begegnungen und Empfindungen. Aus dem einfachen
Dorfkind Louise und dem genialen Denker Karl war ein
zweifellos glückliches Ehepaar geworden. Mit Charme und
einem von Bescheidenheit veredelten Selbstbewusstsein
repräsentierte Louise auch als „first lady“ der Republik.
Versteigerungsedikt von
Renners Elternhaus 1885
Luise Renner (ca. 1895)
Heiratsurkunde
Villa in Gloggnitz,
Rennergasse 2
Renner mit Frau und Tochter
auf der Veranda der Villa
Karl Renner mit Familie und Enkeln
Luise Renner
Feier des 80. Geburtstags von
Karl Renner im
Wiener Konzerthaus
(Soweit nicht anders angegeben, stammen die Fotos/Kopien aus dem Renner-Archiv)